Als Reporter bei der NFL sieht man Dinge, die man in anderen Sportarten vielleicht nicht unbedingt zu Gesicht bekommt. Interviews direkt nach dem Spiel finden in der Regel in den Kabinen statt – wenige Minuten nach dem Spiel. Alles zwischen Dusche, Tasche und frischen Socken. Nackte Tatsachen! Aber müssen die wirklich sein?
Ich habe mich schon etwas gewundert, als ich das erste Mal bei einem NFL-Spiel als Reporter auf dem Weg zur Nachberichterstattung war. Anders als beim Fußball gibt es beim Football eher selten eine Mixed-Zone. Also irgendwelche Pappaufsteller mit 60 verschiedenen Sponsoren-Logos. Davor spulen Thomas Müller, Ron-Robert Zieler und Co. ihre Interviewphrasen ab. Nein. Bei der NFL geht es dahin wo der Schweiß noch fließt. Es geht direkt in die Kabine
Und plötzlich steht der Quarterback nackt neben dir
Es war im Wembley-Stadion in London. Von der Pressetribüne ging es mit dem Fahrstuhl einige Etagen nach unten, durch LKW-Zufahrten und an Busparkplätzen vorbei, in den Spielerbereich. Auf einem schicken (NFL-)blauen Teppich stehen zwei Absperrgitter. Rechts für das Heimteam – links für das Gastteam. Da stellt sich der brave Reporter in die Reihe und wartet auf das „Go“. Dann – nur ein paar Minuten nach Ende des Spiels – rückt die Pressemeute in die Kabinen ein!
Ich vergleiche meine Erlebnisse mit der NFL gerne mit dem Fußball. In der Bundesliga bekommt man das Innere einer Kabine vielleicht bei der Sektdusche nach der Meisterschaft zu sehen, oder wenn man mal eine Stadion-Backstage-Tour mitmacht. Beim Football ist es das Normalste der Welt, Interviews direkt da zu machen, wo der Tight-End nur in Badeschlappen aus der Dusche kommt, oder der Franchise-Quarterback sich frische Socken anzieht
Nackte Tatsachen – und Reporter überall
Die Spieler stört es auch nicht wirklich – oder es darf sie nicht stören. Denn die NFL möchte es schließlich so. Mir ist es sogar passiert, dass mir Andy Dalton – QB der Cincinnati Bengals – aus der Dusche entgegen kam und mich fragte, ob er mal bitte durch kann. Dabei war ich es eigentlich, der das Gefühl hatte ständig „Excuse me“, „sorry“, oder „may I…“ sagen zu müssen.
Diese millonenschweren Jungs sind in der Kabine übrigens genau so, wie alle anderen Menschen in deren Alter. Sie fummeln am Handy rum, stylen sich bis zur Perfektion, schlürfen ihre Softdrinks oder gucken auf dem Fernseher NFL Network. Kurios fand ich, dass die Kabinen in London kein bisschen nach Europa aussahen. Es gab nur amerikanische Verpflegung, die Steckdosen für Handys waren im US-Standard und natürlich ist alles aus Plastik und in Einweg…
Interviews direkt am Kleiderhaken
Zwischen Spielern, Trainern, Betreuern, verschwitzten Trikots und nackten Tatschen, schiebt sich nun also die Pressemeute entlang. Ob Männlein oder Weiblein – mit Fotokamera, Radio-Mikrofon oder TV-Equipment – alles wird in die Kabine geschleppt und dann gehts los mit der Arbeit. Auch wenn der Runningback noch keine Hose anhat, Kamera auf den Kopf halten und schon startet das Live-Interview fürs US-Fernsehen. Hier und da wundert sich dann schon mal ein Spieler, wenn der Andrang so groß ist. Ich habe aber immer nur sehr höfliche Jungs erlebt. Das mag ich so an der NFL. Jeder respektiert die Arbeit des anderen.
Natürlich geht so ein Prozedere auch mal schief. Vor ein paar Jahren gab es in den USA einen riesigen Aufschrei, als bei einem Live-Interview aus einer Kabine plötzlich ein nackter Spieler durchs Bild lief. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind schließlich die Grenzen überschritten, wenn jemand nackt ist. Ich will jetzt hier nicht wieder den Vergleich mit den laschen Waffengesetzen machen. Aber mal ehrlich: Kein Kind dieser Welt wird sofort zum Terroristen, wenn es nackte Tatsachen eines Footballspielers sieht!