Was haben wir uns den Kopf zerbrochen und uns wund diskutiert, ob die European League of Football ein Erfolg wird. Jetzt sind schon 6 Wochen gespielt und damit ist Halbzeit in der ELF – jedenfalls in der Regular Season. Zeit, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Ich selbst habe bis hier hin alle Heimspiele von Berlin Thunder live im Stadion gesehen – dazu einige Spiele live oder re-live am Fernseher. Mein Fazit bisher: „Wie konnte das alles nur passieren?“ Aber lest selbst.
„Die klauen doch nur die Spieler aus anderen Teams!“ „Geht denen nicht schnell das Geld aus?“ „Das Niveau der Spiele wird noch unterhalb der GFL liegen!“ Diese und viele ähnliche Sätze haben wir vor dem Start der European League of Football zu Hauf gehört. Bei Social Media, in diversen Podcasts oder im persönlichen Gespräch – mit 1,5 m Abstand. Jetzt ist schon Halbzeit in der ELF und gefühlt ist die Stimmung schon vor einiger Zeit gekippt. Die European League of Football hat den großen Teil der Fans in Deutschland überzeugt! Mich auch!
Endlich wieder Live-Football
Wie geil ist es bitte in einem Stadion mit Zuschauern unseren Lieblingssport live zu sehen? Klar, die Stadion sind nicht groß und viele Plätze bleiben noch leer oder müssen wegen der Pandemie leer bleiben. Aber selbst im winzigen „Stadion auf dem Wurfplatz“, wo Berlin Thunder die ersten beiden Heimspiele absolviert hat, kam diese gewisse „Football-Live-Stimmung“ auf, die uns alle so fasziniert. Fans in Trikots, mit Caps. Trommeln oder Fahnen. Ich erinnere mich auch noch an den Sound des ersten Spiels aus Barcelona. Das war schon etwas ganz besonderes. Klar, die GFL hat das alles auch. In der ELF wirkt das alles auf mich aber spektakulärer.
Das Spielniveau der European League of Football ist auch nicht mehr wirklich im (negativen) Fokus. Mal abgesehen von den Special Teams. In der NFL passiert es so gut wie nie, dass ein Punt geblockt wird, ein PAT zu kurz (!) ist oder dass es keinen einzigen Fieldgoald-Versuch in einer Partie gibt. In der ELF kam das schon etwas häufiger vor. Aber ehrlich? Was solls? Die Fans im Stadion freuen sich dafür um so mehr über weite Punt-Return-Touchdowns, ungewöhnliche Würfe und knappe Ergebnisse. Die gab es schon sehr häufig. Ausnahmen aus Leipzig bestätigen die Regel. Mein Eindruck zur Halbzeit in der ELF: Das „weniger perfekte“ macht das Spiel gerade interessant.
Für die Hardcore-Fans sind mittlerweile auch die geforderten Statistiken zu den Spielen abrufbar. Die Merchandise-Stände werden mehr und ich habe hier in Berlin schon außerhalb des Stadions mehrfach Fans im Thunder-Trikot gesehen. Beim ersten Spiel im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark sind mir sowieso einige Dinge positiv aufgefallen: Viele Familien mit Kindern waren da. Alle Fans vertragen sich untereinander, so wie wir es auch aus den USA kennen. Und dann war da noch Commissioner Esume. Er war mit seiner ganzen Familie im Stadion, saß zusammen mit anderen Fans auf der Tribüne und gab sich gewohnt fan-nah. Wer ein Selfie wollte, bekam auch eins. Im Gegenzug wurde seine Familie in Ruhe gelassen. Gleiches gilt auch für Björn Werner, der ebenfalls im Stadion war.
Der Boss dreht seine Runden
Commissioner Esume saß aber nicht das gesamte Spiel still auf der Tribüne. Der Boss der Liga war immer wieder auf dem Spielfeld unterwegs, sprach mit Coaches, Spielern und Funktionären. Was auch immer er korrigiert oder angesprochen hat, ich fand es gut, dass er es sofort gemacht hat. Man stelle sich das mal mit Roger Goodell vor? Was würde das für ein Pfeiffkonzert geben! Überhaupt ist die Nähe zu Verantwortlichen und Spielern ein großes Plus. Wer Lust und Laune auf einen Plausch oder ein Foto mit einem Spieler hat, der macht es nach dem Spiel und es hat kaum jemand etwas dagegen. Der Kollege Kucze von der Footballerei ist das beste Beispiel:
Auch Schlagzeilen sind bis zur Halbzeit in der ELF genug geliefert worden – das gehört auch irgendwie dazu. Da wurde der Head Coach in Hamburg gefeuert, weil es im Team nicht passte. In Stuttgart fliegt der Quarterback raus, wegen rassistischer Äußerungen. Leider hat Chris Ezeala sein Werken in Köln früh aufgegeben. Vorzeige-Maschine Kasim Edebali fiel wegen Corona aus. Ein Spiel in Frankfurt musste wegen eines Unwetters unterbrochen werden. All das macht Schlagzeilen und auch das bringt die Liga in gewisser Weise voran. Auch wenn das natürlich nicht planbar ist.
Was kann noch besser werden?
Natürlich hat die ELF kein NFL-Niveau, natürlich sind die Stadien kleiner, leerer und wirken etwas dörflicher. Sicher gehen einige Pässe ins Leere und die Schiedsrichter machen auch mal etwas falsch – manchmal auch mehr als einmal. Aber trotzdem macht das Produkt Spaß. Ich persönlich freue mich am Montag schon auf das nächste Wochenende. Auch wegen der gelungenen TV-Übertragungen bei ProSieben MAXX Ich lerne jedes Mal neue Spieler kennen und staune über deren Leistungen. Ich bin immer wieder begeistert, wie viel Interesse der Sport zieht. Bei Social Media tut sich so viel, dass die Liga immer im Gespräch ist. Das hat alles Potenzial. Viele dieser Dinge bietet die GFL aus meiner Sicht nicht.
Mit dem angekündigten All-Star-Game eine Woche nach dem ELF-Bowl wird das Interesse aufrecht gehalten. Wie ich hörte, soll es im Endspiel auch eine Halbzeitshow geben – mit Kontra K. Nicht meine Welt, aber es passt zum Produkt. Wenn die Liga es jetzt noch mehr in den Mainstream schafft, große Sender und Zeitungen noch mehr berichten. Sponsoren Interesse bekommen und der Hype bis zum Saisonstart 2022 bleibt, dann können wir als Fans uns noch mehr freuen. Hoffen wir mal, dass alle Teams auch nach Saison in der ELF bleiben und auch attraktive neue dazu kommen. London ist wohl schon sicher. Frankreich, Österreich, Italien oder die Türkei sollen auch im Rennen sein. Dann wird die ELF erst richtig europäisch.